Das Leben der jüdischen Dichterin Else Lasker-Schüler bewegte sich zwischen den Extremen: auf der einen Seite der Glanz der Boheme, auf der anderen äußerste Armut, die Künstlerkollegen immer wieder zu Sammlungen für sie veranlaßte. Geprägt wurde ihr Leben auch durch zwei Weltkriege. Der fremdartige Zauber aber, der von dieser ungewöhnlichen Frau ausgeht, ist den bloßen biographischen Daten zunächst nicht zu entnehmen.
1869 in Elberfeld geboren, ging die 25jährige mit ihrem ersten Mann Berthold Lasker nach Berlin, wo sie zu zeichnen begann. Nach der Geburt ihres Sohnes Paul und der Scheidung heiratete sie Herwarth Walden. Nach dem Scheitern ihrer zweiten Ehe lebte sie an wechselnden Orten, meist in Hotels. Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten emigrierte sie in die Schweiz. Drei Reisen führten sie nach Palästina, von der dritten konnte sie wegen des Kriegsausbruchs 1939 nicht nach Europa zurückkehren und blieb in Jerusalem, wo sie 1945 starb.
In ihrem Werk schuf die Lasker-Schüler einen Gegenentwurf zu ihren eigenen Lebensumständen und denen des wilhelminischen Bürgertums. Sie erfand fremdartige und exotische Existenzen für sich, so war sie „Jussuf, Prinz von Theben“, „Tino von Bagdad“, „der Malik“, „Indianerin Pampeia“, “ Joseph von Ägypten“ und andere.
In ihren Gedichten, Theater und Prosastücken mischte Else Lasker-Schüler tatsächlich Erlebtes mit sehnsüchtig phantasievoll erfundenen Anekdoten und erreichte eine Verquickung von Fiktion und Realität, die bis heute nicht vollständig entwirrbar ist. Karl Kraus´ Wort von der „unwegsamsten lyrischen Erscheinung des modernen Deutschland“ ist auch ein halbes Jahrhundert nach dem Tode der Dichterin noch zutreffend.
»Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich.«
Die Spannung zwischen Literatur und Wirklichkeit bestimmte Else Lasker-Schülers Leben seit ihrer Kindheit. Die 1869 geborene Dichterin war 1894 nach Berlin gekommen, wo sie fast vierzig Jahre lang (bis zu ihrer Emigration 1933) lebte. Aus den Künstlern und Kaffeehauspoeten der Berliner Boheme rekrutierte sie die Figuren, die – in verschlüsselter Form – ihre imaginäre »Thebenwelt« bevölkern. Sie selbst bildete in der Rolle des Prinzen Jussuf von Theben das Zentrum dieses märchenhaften Orients.
Die von ihr entworfenen Kunstwelten entstammen einer Protesthaltung gegen Spießer- und Philistertum, die sie mit ihrem Freundeskreis teilte. Das Rollenspiel wurde als Aufhebung von bürgerlichen Rollenzwängen zwar verstanden und mitgespielt, aber dennoch fühlten sich einige der im exotischen Hofstaat Porträtierten kompromittiert. Der Vorwurf der Maskerade und der Weltflucht tauchte auf und wurde von der Literaturkritik bereitwillig aufgenommen. Tatsächlich sind Autobiographie und Fiktion in Else Lasker-Schülers Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Gedichten und Prosawerken kaum zu trennen. Lange Zeit war sogar ihr Geburtsdatum unbekannt, da sie auf Fragen nach ihrem Alter grundsätzlich antwortete: »Ich bin achtzehn oder tausend.« Mißverständnisse und Fehlinterpretationen waren an der Tagesordnung, zumal diese »größte Lyrikerin, die Deutschland je hatte« (Gottfried Benn) erst wiederentdeckt wurde, als sie selbst nicht mehr klärend eingreifen konnte. Als Else Lasker-Schüler 1945 im Exil in Jerusalem starb, war sie einsam und ihr Werk weitgehend vergessen. Ihre Vision vom toleranten Zusammenleben von Christen und Juden, die sie noch 1932 im Drama »Arthur Aronymus« entwarf, war endgültig widerlegt worden. Jerusalem, das sie in ihren Werken als Symbol dieser Vision gefeiert hatte, erwies sich in der Realität als ungewollte Endstation ihrer Flucht: Die Behörden gestatteten ihr nicht mehr, nach Europa zurückzukehren. Die Wirklichkeit hatte sich gegenüber der Kunstwelt durchgesetzt.